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Roses Revolution Day – Aktionstag gegen Gewalt in der Geburtshilfe

Der 25. November, der Roses Revolution Day, ist ein Aktionstag gegen Gewalt und Respektlosigkeit in der Geburtshilfe, der national und international begangen wird. Betroffene Frauen sind aufgefordert ein Zeichen zu setzen, mit dem Tabu zu brechen und eine rosafarbene Rose vor jenen Spitälern und Geburtshäusern niederzulegen, in denen sie Misshandlung und Geringschätzung erfahren mussten. Ein schwieriges Thema, das betroffen macht und über das viel zu selten gesprochen wird.

Roses Revolution Day Logo

Kontrollverlust im Kreißsaal

Eigentlich war alles gut: die Schwangerschaft ist komplikationsfrei verlaufen und auch der Geburtsbeginn gestaltete sich wie im Lehrbuch. Rechtzeitig im Spital eingetroffen, regelmäßige Wehen, die die Öffnung des Muttermundes vorantrieben – die Sicherheit der Gebärenden zu Beginn noch groß, das Selbstvertrauen ebenfalls. Seitens der Klinik hatte man im Vorfeld versprochen, die Geburt lediglich zu überwachen und tatsächlich nur im Notfall einzugreifen. Doch dann kam alles anders, wie eine Mutter in der bewegenden Dokumentation „Weinen hilft dir jetzt auch nicht – Gewalt in der Geburtshilfe“ (WDR 2017) erzählt. Mehrere medizinische Interventionen wurden ohne ihre Zustimmung durchgeführt, sowohl Gebärende als auch ihr Partner vom Handeln der diensthabenden Hebamme regelrecht überrollt. Das Kind wurde gesund geboren, die Frau fühlt sich jedoch bis heute entmündigt und nahezu vergewaltigt.

Der mutige Erfahrungsbericht einer Betroffenen spricht jenen Frauen aus der Seele, die ähnliches erlebt haben. Gewalt in der Geburtshilfe ist ein Tabuthema und unglücklicherweise aktueller denn je. Die statistische Erfassung ist schwierig, die Initiative „Roses Revolution Deutschland“ geht auf Basis interner Evaluierungen davon aus, dass mindestens 20% aller Gebärenden betroffen sind. Die Dunkelziffer ist vermutlich um einiges höher. Wer psychische oder physische Gewalt unter der Geburt erfährt, der schweigt im Regelfall. Schließlich sind Mutter und Kind wohlauf, das Erlebte wird verdrängt, das Umfeld beschwichtigt mit einem „Hauptsache, das Kind ist gesund“. Eine Entbindung ist ein besonders Ereignis im Leben einer Frau, ein Kraftakt, eine Ausnahmesituation. Sie geht bis an ihre Grenzen und oftmals darüber hinaus. Auch für den werdenden Vater oder die Begleitperson ist es ein eindrückliches und manchmal auch verstörendes Erlebnis. Während sie ihr Kind gebären, sind Frauen verletzliche Wesen, die im Kreißsaal respektvoll behandelt und in ihren Bedürfnissen wahr- und ernst genommen werden sollten.

Der Alltag in der Geburtshilfe gestaltet sich meist anders, ein Umstand der auch die WHO (Weltgesundheitsorganisation) veranlasst hat, eine Erklärung abzugeben. Darin heißt es: „Jede Frau hat das Recht auf den bestmöglichen Gesundheitsstandard. Dies beinhaltet das Recht auf eine würdevolle und wertschätzende Gesundheitsversorgung.“ Weiters: „Viele Frauen erleben in geburtshilflichen Einrichtungen auf der ganzen Welt einen geringschätzigen und missbräuchlichen Umgang. Dieser Umgang verstößt nicht nur gegen das Recht der Frauen auf eine respektvolle Versorgung, sondern kann darüber hinaus deren Recht auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit und das Recht auf ein Leben ohne Diskriminierung verletzen. Diese Erklärung ruft zu einem vermehrten Engagement, mehr Dialog, Forschung und Fürsprache im Hinblick auf dieses gravierende Problem der öffentlichen Gesundheit und der Menschenrechte auf.“

Die vielen Gesichter der Gewalt

Gewalterfahrungen unter der Geburt, ein Thema über das man lieber nicht spricht. Die Opfer schämen sich, Außenstehende sind unangenehm berührt und GeburtshelferInnen, von denen die Gewalt ausging, fehlt oftmals jegliches Bewusstsein dafür, dass ihre Handlungen als übergriffig, missbräuchlich oder respektlos empfunden wurden. Eine schwierige Angelegenheit also - umso wichtiger ist es, den Dialog zu suchen und über Gewalt in der Geburtshilfe zu sprechen. Doch wo hört eine medizinisch erforderliche Intervention auf und wo fängt Gewalt an? Die Grenzziehung ist heikel. Fakt ist: manchmal müssen Hebamme oder Arzt/Ärztin eingreifen, um Mutter und Kind zu schützen. Manchmal muss diese Hilfestellung schnell gehen, für Erklärungen bleibt wenig Zeit. Und nicht selten fühlen sich Gebärende mit der Situation schlichtweg überfordert. Ob es sich tatsächlich um eine Gewalteinwirkung handelt, ist rückblickend nur mehr schwer zu beurteilen. Vertreterinnen der „Roses Revoultion Deutschland“ fordern jedenfalls eine Unterscheidung zwischen psychischer und physischer Gewalt. Und sie haben dazu ein paar Leitlinien erarbeitet.

Von physischer Gewalt unter der Geburt spricht man, wenn:

  • Gebärende gegen ihren Willen festgehalten oder fixiert (festgeschnallt) werden.
  • Medikamente, schmerzstillende oder wehenfördernde Mittel ohne Einverständnis der Gebärenden verabreicht werden.
  • Es zu gewaltsamen Übergriffen wie Zerren, Drücken, Kneifen oder Schlägen kommt.
  • Die Gebärende sich nicht frei bewegen, den Geburtsvorgang (im Rahmen der Möglichkeiten) nicht selbstbestimmt gestalten darf.
  • Die Gebärende in eine bestimmte Position (z.B. am Bett liegend) gezwungen wird.
  • Vaginale Untersuchungen gewaltsam durchgeführt werden.
  • Interventionen (wie z.B. Dammschnitt, Kaiserschnitt, Kristeller-Handgriff) ohne Vorliegen einer entsprechenden Indikation vorgenommen werden.

Unter psychischer Gewalt versteht man in diesem Zusammenhang:

  • Verbale Herabwürdigungen und Beschimpfungen
  • Drohungen (z.B. die Mutter würde das Leben des Kindes gefährden)
  • Alle Handlungen, die als Machtmissbrauch gelten und die die Gebärenden nötigen, unter Druck setzen oder zu einem gewissen Verhalten zwingen.
  • Witze und sexualisierte Aussagen
  • Respektlosigkeit gegenüber der Gebärenden, des Geburtspartners sowie anderen, an der Geburt beteiligten Personen (z.B. Pflegefachkräfte, Hebammen in Ausbildung).
  • Das Alleinelassen einer Frau während der Geburt

Vielen GeburtshelferInnen, ÄrztInnen und Hebammen sind sich der Intensität ihres Verhaltens und der Verletzlichkeit einer Gebärenden nicht gewahr. Und das, trotz oder gerade aufgrund jahrelanger Erfahrungen in der Geburtshilfe. Gewalttätige Übergriffe sind häufig automatisierte, unbewusste Verhaltensmuster, die bestimmten Klinikroutinen und fehlender Bewusstseinsarbeit geschuldet sind. Der deutsche Hebammenverband weist beispielsweise daraufhin, dass eine Geburt immer mehr als medizinisches Risiko und weniger als natürliches Ereignis klassifiziert wird. Außerdem klagen Geburtenstationen über eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, lange Schichtdienste und einen generellen Mangel an Fachpersonal. Zeit, das höchste Gut der Geburtshilfe, ist mittlerweile rar geworden. Alle Abläufe und Eingriffe müssen dokumentiert werden, nicht zuletzt aus Sorge vor Haftungsklagen. Es ist also vielmehr das System, das erkrankt und nicht erst in der jüngsten Vergangenheit aus den Fugen geraten ist.

Tabus brechen – Mit Rosen ein Zeichen setzen

Der Roses Revolution Day am 25. November jeden Jahres möchte auf diese Situation und das Trauma der betroffenen Frauen aufmerksam machen. Wer Gewalt unter der Geburt erlebt hat, leidet oft jahrelang an einer posttraumatischen Belastungsstörung oder hat erhebliche Schwierigkeiten eine Bindung mit dem eigenen Kind aufzubauen. Der vorzeitige Abschluss der Familienplanung oder ein Wunschkaiserschnitt bei der nächsten Geburt, sind nur zwei der möglichen Langzeitfolgen.

Betroffene haben am Roses Revolution Day die Gelegenheit, ein Zeichen zu setzen und dadurch auch ein Stück weit das Erlebte zu verarbeiten. An Geburtenstationen oder Geburtshäusern werden rosafarbende Rosen niedergelegt, von jenen Frauen, die dort Opfer von Gewalt wurden. Die Initiative Roses Revolution Deutschland stellt außerdem ein spezielles Briefpapier zur Verfügung – wenn die Frau möchte, kann sie einen Brief mit ein paar erklärenden Worten beilegen. Geburtsberichte und Fotos der Rosen werden auch in sozialen Medien (auf Wunsch anonym) veröffentlicht, um den Betroffenen zu zeigen, dass sie mit ihrem Schicksal nicht alleine dastehen.

Informationen zur Roses Revolution findest du bei der Initiative für eine gerechte Geburtshilfe in Deutschland - Information, Austausch, Diskussion: http://www.gerechte-geburt.de/

http://www.deutschlandfunk.de/gewalt-in-der-geburtshilfe-weinen-hilft-dir-jetzt-auch-nicht.1247.de.html?dram:article_id=397383

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