Vorgeburtliche Screenings und Pränataldiagnostik im Europavergleich
Ein ForscherInnen-Team des Austrian Institute for Health Technology Assessment in Wien hat sich dem Thema Pränataldiagnostik in Europa angenommen. In beinahe allen europäischen Ländern können Schwangere vorgeburtliche Untersuchungen in Anspruch nehmen. Es handelt sich hierbei um spezielle diagnostische Verfahren und Screenings, die Anomalien und ein möglicherweise erhöhtes Risiko für eine Chromosomenstörung feststellen können. Wichtig: Diagnostiziert werden Wahrscheinlichkeiten, aufklärende Gespräche mit dem betroffenen Elternpaar sind in diesem Kontext dringend empfohlen. In welchen europäischen Ländern Pränataldiagnostik von der öffentlichen Hand finanziert wird, wie und wann die Tests Schwangeren angeboten werden und warum eine umfassend psycho-soziale Beratung eine wichtige Rolle spielt – das haben sich die ForscherInnen rund um Inanna Reinsperger angesehen.
Kostenübernahme und Indikationen
In Deutschland wird das sogenannte NIPT-Verfahren (nicht invasive Pränataltests) seit 2022 unter bestimmten Voraussetzungen in Deutschland von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Ein guter Anlass, um sich ein Bild zu machen, wie Finanzierung und Angebote in diesem Bereich in Europa gehandhabt werden. Am Austrian Institute for Health Technology Assessment hat man sich für den Vergleich auf sechs Länder festgelegt, die sich in relevanten Kriterien wie Gesundheits-/Versicherungssystem, geografische Lage, Berufsgruppen, die in der Schwangerenvorsorge involviert sind, unterscheiden. Pränataldiagnostische Verfahren und deren Kostenübernahme wurden in Deutschland, der Niederlande, Schweiz, dem Vereinigten Königreich, Norwegen und Italien untersucht. Die Datenerhebung erfasste eine Handsuche sowie schriftliche ExpertInnen-Konsultationen in allen sechs Ländern. Folgende Bestandteile der Pränataldiagnostik wurden in die Studie miteinbezogen:
- First Trimester Screening (FTS)/Combined Test (CT): Screening auf Trisomie 21 (T21), Trisomie 18 (T18) und Trisomie 13 (T13)
- Nicht-invasiver Pränataltest (NIPT): Screening auf v. a. T21, T18 und T131
- Invasive Tests (Amniozentese/Chorionzottenbiopsie)
- Ultraschallscreening im zweiten Trimester („Organscreening“)
Der Vergleich ist insofern spannend, als in jedem dieser sechs Länder eine andere Art von Diskurs zum Thema Pränataldiagnostik geführt wird, der wiederum mit den nationalen Programmen der Schwangerenvorsorge und der generellen Haltung zur Geburtshilfe in Verbindung steht. Die ForscherInnen der vorliegenden Untersuchungen wollten herausfinden, welche vorgeburtlichen Verfahren von der Patientin selbst bezahlt werden müssen und welche aus öffentlicher Hand finanziert werden. Zudem war auch das generelle Angebot von Interesse: Bei welchen Indikationen, Risikofaktoren und vorangegangenen Erbnissen wird Pränataldiagnostik als Option miteinbezogen? Weiters relevant für die Untersuchung: Der Ort, an dem vorgeburtliche Untersuchungsverfahren durchgeführt werden (z. B. in einem öffentlichen Spital, bei spezialisierten FachärztInnen).
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
In der Finanzierung der pränataldiagnostischen Angebote gab es die größten Unterschiede. In Deutschland gibt es keine Kostenübernahme für First Trimester Screenings und Combined Tests. Sie sind dort als IGeL-Leistung geführt – das bedeutet, du musst dafür selbst bezahlen. Die Niederlande und Norwegen haben diese Tests komplett durch NIPT-Tests ersetzt. In der Schweiz, im Vereinigten Königreich und in Italien kann hingegen jede Schwangere ein First Trimester Screening und einen Combined Test in Anspruch nehmen. Die Kosten werden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Beim NIPT wird es noch uneinheitlicher. In Italien sind die Regelungen von Region zu Region unterschiedlich. In Deutschland wird der Test unter bestimmten Voraussetzungen seit 2022 von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Möchte eine Schwangere in den Niederlanden einen NIPT, wird sie diesen gegen einen Selbstkostenersatz von 175 Euro auch erhalten. In der Schweiz, in Norwegen und dem Vereinigten Königreich hat man den NIPT als sekundäres Screening klassifiziert. Das bedeutet, dass eine Kostenübernahme durch die öffentliche Hand möglich ist, sofern eine medizinische Indikation besteht. Organscreenings, bei denen fetale Anomalien entdeckt werden können, werden in alle sechs Ländern von den Krankenkassen finanziert, wenn gewisse Risikofaktoren bestehen oder es unklare, verdächtige Untersuchungsergebnisse von vorangegangenen Tests gibt.
Beratung als Schlüsselfaktor
Zentrales Element bei allen pränataldiagnostischen Untersuchungen sollte die Beratung sein, so ein Fazit der StudienautorInnen. Schließlich stellen unklare Befunde ein Paar vor eine große psychosoziale Herausforderung. Möglicherweise müssen Entscheidungen getroffen werden, möglicherweise sind weitere Untersuchungen erforderlich. Erschwerend kommt die mitunter lange Wartezeit auf Testergebnisse hinzu. Das wiederum bedeutet eine Zeit des Bangens, der Unsicherheit, Sorge und Raum für viele Ängste. Um solche Situationen entsprechend abzufedern, benötigt es eine qualitativ hochwertige Beratung und möglichst einen Diskurs darüber, wer diese Beratungen durchführt. Beim Austrian Institute for Health Technology Assessment sieht man das wie folgt: „Schwangere Frauen und Paare müssen dabei unterstützt werden, eine autonome, informierte Entscheidung für oder gegen die Inanspruchnahme dieser Untersuchungen zu treffen. Dafür braucht es insbesondere eine qualitativ hochwertige und neutrale Beratung sowie eine qualitätsgesicherte Ausbildung und kontinuierliche Fortbildung der Berater*innen.“
Was für über pränataldiagnostische Untersuchungen in Österreich wissen musst
Pränataldiagnostik ist in Österreich kein Bestandteil des Mutter-Kind-Passes. Das bedeutet also, dass per se alle Untersuchungen, die einer vorgeburtlichen Abklärung von Anomalien, Chromosomenstörungen und Gendefekten dienen, von dir selbst zu bezahlen sind. Gibt es jedoch eine medizinische Indikation, unklare Befunde von anderen Screenings oder Risikofaktoren (z. B. Alter der Schwangeren über 35) kann der Arzt/die Ärztin eine pränatale Untersuchung anordnen. Diese wird dann auch von der Krankenkasse übernommen.
Tipp: Erkundige dich im Vorfeld, ob eine Untersuchung für dich überhaupt relevant ist und überlege dir mit deinem Partner, wie ihr bei einem entsprechend auffälligen Untersuchungsergebnis reagieren würdet. Informiere dich zudem vorab über die Kosten!
Die Studie im Detail ist hier abrufbar.
Einen Kommentar schreiben